Modern or Contemporary? The Slippery Semantics of Art in Dresden and Beyond
Author- Brian Hawkeswood. Scroll down for English Version.
Modern oder zeitgenössisch? Über die sprachliche Unschärfe eines kunsthistorischen Unterschieds – mit Blick auf Dresden
Unter den vielen stillen Missverständnissen, die den Kunstbetrieb durchziehen, gehört wohl keines zu den beharrlichsten – oder folgenreichsten – wie die Verwechslung von moderner und zeitgenössischer Kunst. Für den flüchtigen Betrachter mögen diese Begriffe austauschbar erscheinen; doch bezeichnen sie in Wahrheit zwei verschiedene Epochen, unterschiedliche ästhetische Prinzipien und grundverschiedene künstlerische Haltungen. Besonders im deutschen Sprachraum – auch in Dresden – verschwimmen diese Begriffe häufig, selbst (oder gerade) dort, wo man es besser wissen müsste: in Museen, Fördervereinen, Katalogtexten.
Les Demoiselles d'Avignon (The Young Ladies of Avignon) by Pablo Picasso. An important artist of "Modern Art".
Ein kurzer kunsthistorischer Überblick ist daher hilfreich – nicht nur zur Klärung, sondern auch zur Würdigung dessen, was in Dresden unter dem Namen „moderne Kunst“ gezeigt und gesammelt wird.
Die Moderne: 1860–1970
Der Begriff Moderne Kunst (im engeren kunsthistorischen Sinn) bezeichnet die Phase vom späten 19. Jahrhundert bis etwa 1970. Sie beginnt mit den Impressionisten – Monet, Degas, Manet – und führt über den Fauvismus, Kubismus, Expressionismus, Dada und Surrealismus hin zu Abstraktem Expressionismus, Minimal Art und Pop Art. Gemeinsames Ziel dieser Künstler war die bewusste Abkehr von akademischen Konventionen und das Streben nach einer neuen, der modernen Welt angemessenen Bildsprache.
In Deutschland zählt hierzu insbesondere die Brücke-Bewegung, gegründet in Dresden, sowie der Blaue Reiter. Die Werke dieser Zeit sind oft durch formale Innovationen, emotionale Unmittelbarkeit und den Wunsch nach Erneuerung geprägt. Auch das Bauhaus, als Gesamtkunstwerk von Architektur, Design und freier Kunst, gehört zu dieser Epoche.
Modern war dabei nicht bloß ein Stil, sondern ein Projekt – getragen von Fortschrittsglauben, von der Überzeugung, dass Kunst gesellschaftlich wirken und in die Zukunft weisen könne.
Zeitgenössische Kunst: 1970 bis heute
Mit dem Zusammenbruch der großen Erzählungen der Moderne und der gesellschaftlichen Umbrüche der 1970er Jahre beginnt die Phase der zeitgenössischen Kunst – oder wie es im Deutschen präzise heißt: zeitgenössische Kunst. Sie ist keine Stilrichtung, sondern eine Epoche der Vielfalt, der Fragmentierung, der Befragung von Autorität, Identität, Medium und Markt.
Hierzu gehören Konzeptkunst, Performance, Videokunst, Installationen, digitale Formate und vieles mehr. Der künstlerische Fokus verlagert sich von der Form zum Inhalt, von der Ästhetik zur Ethik, von der Darstellung zur Interaktion.
In Dresden zeigt sich diese Verschiebung exemplarisch in den Arbeiten von Angela Hampel, deren feministische Werke historische Mythen neu lesbar machen, oder in den digital anmutenden Malereien von Eberhard Havekost, die zwischen Realismus, Entfremdung und medienkritischer Reflexion oszillieren.
Sprachliche Unschärfe und institutionelle Praxis
Vor diesem Hintergrund wirkt der Name der Gesellschaft für Moderne Kunst in Dresden beinahe irreführend. Denn obwohl „Moderne Kunst“ gemeinhin auf das frühe 20. Jahrhundert verweist, fördert diese Gesellschaft in Wahrheit Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart – sowohl ideell als auch materiell. Ihre Ankäufe und Schenkungen betreffen Werke aus den 1990er Jahren bis heute.
Auch das Museum, dem diese Werke häufig zugutekommen – die Galerie Neue Meister – trägt einen traditionsreichen Namen, der heute weit über seinen historischen Ursprung hinausgeht. Was einst als Erweiterung zur Gemäldegalerie Alter Meister gedacht war, zeigt heute nicht nur Dix und Beckmann, sondern auch Gegenwartskunst auf hohem Niveau.
Die sprachliche Unschärfe wird so zur institutionellen Praxis – und bleibt dabei selten hinterfragt.
Warum die Unterscheidung dennoch wichtig ist
Für Kunsthistoriker, Kuratoren, Sammler – aber auch für ein interessiertes Publikum – ist die genaue Begrifflichkeit von großer Bedeutung. Denn ein Werk zu verstehen, heißt, es in seine Zeit, seine Tradition, seine Brüche einzuordnen. Wer Angela Hampel als „moderne Künstlerin“ bezeichnet, verfehlt ihren kritischen Impuls; wer Gerhard Richter lediglich als „zeitgenössisch“ beschreibt, ohne seine Verwurzelung in der Nachkriegsgeschichte zu bedenken, reduziert seine Vielschichtigkeit.
Darüber hinaus hat die Unterscheidung auch kuratorische und förderpolitische Konsequenzen. Zeitgenössische Kunst verlangt andere Räume, andere Vermittlungsformate, andere Finanzierungsmodelle als die klassische Moderne. Wer beides zusammenwirft, riskiert nicht nur Missverständnisse, sondern mitunter die Entwertung dessen, was Gegenwartskunst eigentlich will: gesellschaftlich relevant sein.
Fazit: Sprache schafft Wirklichkeit
Es geht also nicht nur um korrekte Terminologie, sondern um ein präzises Denken und Wahrnehmen. In einer Stadt wie Dresden, in der Geschichte, Erinnerung und künstlerisches Erbe besonders eng verwoben sind, verdient diese Unterscheidung besondere Aufmerksamkeit.
Vielleicht wird die Gesellschaft für Moderne Kunst eines Tages den Mut haben, sich umzubenennen – oder wenigstens um den Zusatz für zeitgenössische Kunst zu ergänzen. Vielleicht aber genügt es schon, sich als Betrachter selbst bewusst zu machen, was gemeint ist, wenn von „Moderne“ die Rede ist – und in welcher Zeit das Werk tatsächlich steht.
Denn wie so oft im Umgang mit Kunst: Wer klarer sieht, sieht mehr.
Modern or Contemporary? The Slippery Semantics of Art in Dresden and Beyond
Among the many quiet miscommunications that populate the world of art discourse, few are as persistent—or as oddly consequential—as the confusion between the terms modern art and contemporary art. Though to the casual observer they may appear interchangeable, in fact they refer to two distinct epochs, aesthetic impulses, and sets of intentions. Yet in Germany, this distinction is often blurred, even among institutions that should know better—or perhaps do know, but continue to conflate for reasons of habit, prestige, or institutional inertia.
The question matters. To misname is not merely to misclassify; it is to alter the mental image of the viewer before the work has even been seen. A museum visitor expecting Modern Art—Picasso, Kandinsky, Paul Klee—may be startled to find instead the raw interventions of Neo Rauch, the photo-paintings of Eberhard Havekost, or the conceptual installations of Angela Hampel. Likewise, a contemporary art enthusiast in search of postmodern or political discourse might find little interest in a room filled with early twentieth-century Cubism.
Let us begin with a historical compass.
The Age of Modernism: 1860–1970
Modern art, in the strict art historical sense, refers to the period beginning in the late 19th century with the Impressionists—Monet, Manet, Degas—and stretching through Post-Impressionism, Fauvism, Cubism, Expressionism, Dada, Surrealism, and the many abstract and formalist movements of the early 20th century. These artists shared a common revolt against academic traditions and a belief that art should reflect, or reshape, the changing modern world.
By the mid-20th century, modernism’s project had moved into more radical territories—Abstract Expressionism, Minimalism, and Pop Art—yet it still carried within it the foundational assumption of progress: that art was evolving towards some new truth or aesthetic purity.
In Germany, this included the Bauhaus, Die Brücke, and Der Blaue Reiter, movements grounded in experimentation, spiritual inquiry, and a search for formal innovation. The early twentieth-century artists of Dresden, in particular—Kirchner, Heckel, and Nolde—sought to unleash raw emotion and intuition, breaking with tradition in colour, form, and meaning.
Contemporary Art: 1970 to Now
With the collapse of modernism’s grand narratives came the diverse, often fractured world of contemporary art. This is not a stylistic period so much as a temporal one—zeitgenössische Kunst in German—referring to artists working now, or at least since the 1970s. Here we find no single direction but a multitude: conceptual art, performance, video, installation, social practice, and a host of media that escape easy categorization.
Contemporary artists are often less interested in beauty or form than in meaning, critique, process, and politics. Their work addresses globalization, migration, environmental crisis, gender, digital life, memory, trauma. They often discard the canvas entirely. The material becomes immaterial; the object becomes experience.
In Dresden, this shift can be seen in the works of artists such as Angela Hampel, whose feminist interventions use myth and history as tools of critique, or Eberhard Havekost, whose cool, digital-feeling paintings hover between realism and detachment.
Institutional Confusion: The Dresden Example
In this context, the naming of Dresden’s Gesellschaft für Moderne Kunst—literally Society for Modern Art—is curious. Though the title suggests an allegiance to the historical modernists of the early 20th century, the works they acquire and support are squarely contemporary. Their collection includes artists active in the 1990s and beyond, many of whom engage with digital culture, identity politics, or the deconstruction of visual language.
The Galerie Neue Meister, where many of these works are housed, compounds the confusion. Originally established to showcase modernist painters after the Old Masters, its name now conceals a startling breadth of aesthetic: from Otto Dix and the German Expressionists to the latest conceptual experimentations.
This naming inconsistency is not unique to Dresden. Across Germany, one finds Museen der Moderne that include works by living artists, and Kunstvereine that present radical, contemporary installations beneath a mantle of tradition. The term Moderne in German often functions as a broad cultural signifier—something “not old”—rather than a precise historical category.
Why It Matters
For those of us who write, teach, or collect, these distinctions are not pedantic. To understand a work of art is to place it in time, in lineage, in conversation with what came before. To call Angela Hampel a “modern artist” is to mistake her entire purpose; to misname Gerhard Richter as “contemporary” without nuance is to ignore that his roots lie in both socialist realism and postmodern ambiguity.
There is also an ethical implication. Contemporary art, with its social concerns and often ephemeral forms, requires different modes of engagement, different funding models, and different curatorial approaches than modernist painting. To lump them together risks dulling their edge—or venerating the wrong thing.
Conclusion: Language as Lens
What is needed is not just better labeling, but a deeper public education in the timeline of art. This means museums and patrons alike must become more self-aware in the language they use. In Dresden, where history lives in every stone, such clarity matters all the more.
Perhaps the Gesellschaft für Moderne Kunst might one day consider adding a subtitle—für zeitgenössische Kunst. Or perhaps it is enough to quietly acknowledge the elasticity of the German term “Moderne,” and to do what art always has done best: invite a closer look.
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