A Night of Painting in Pirna

 Author- Brian Hawkeswood                                                              Scroll Down For English Version.

Eine Nacht des Malens in Pirna                                                                             Story about Olaf Böhme.

Fast beiläufig hatte ich gesagt, dass ich einen befreundeten Künstler auf der Straße treffen würde, und so geschah es: das Versprechen erfüllte sich in Pirna, an jenem Abend, an dem die Stadt sich ihrer jährlichen Einkaufsnacht hingab. Ja, ich fand ihn dort, mitten auf der Straße, nicht umherirrend, nicht abgelenkt, sondern fest verankert unter einem roten Baldachin, mit Staffelei und Pinsel, als wäre das Zelt selbst zum Heiligtum seines Tuns geworden. Das schwindende Tageslicht, vermischt mit dem künstlichen Glanz der Lampen, legte einen roten Schimmer über ihn und die Leinwand, sodass beide Gestalten wie verwandelt erschienen, als gehörten sie nicht mehr nach Sachsen, sondern in eine Traumlandschaft, in der Mensch und Bild verschmelzen.


Dieses Fest des nächtlichen Einkaufens ist für die Menschen in Pirna und in Deutschland eine Seltenheit, ja eine Kostbarkeit, da es zu jenen wenigen genehmigten Anlässen gehört, an denen die Geschäfte die engen Fesseln vorgeschriebener Zeiten sprengen dürfen. Hier, anders als in weiten Teilen der Welt, bleibt der Handel an das Gesetz gekettet, sodass ein Ladenbesitzer nicht einfach nach eigenem Ermessen seine Tür öffnen darf, um Gewinn oder Verlust auf eigenes Risiko zu tragen; nein, er muss warten, bis der Staat die Stunde bestimmt, als sei selbst der Verkauf eines Brotes Teil eines heiligen Kalenders. Und so stürzen sich die Menschen mit einem Eifer auf diese wenigen Abende, der weit über den Akt des Kaufens hinausgeht: sie kommen nicht, um einzukaufen, sondern um zu flanieren, die Straßen zu füllen, in der Menge aufzugehen. Denn Pirna schwillt immer an, sobald ein Ereignis – musikalisch, künstlerisch oder auch die grellbunten Prozessionen sexuellen Stolzes – einen Vorwand zum Zusammenkommen bietet.Ich begrüßte Olaf, meinen Mitmaler, mit einem Lächeln und bemerkte sogleich seinen Mut, so im Freien zu arbeiten, ausgesetzt den Blicken der Vorübergehenden, während die Straße sich bereits mit Besuchern füllte, die kaum eigens wegen der Kunst gekommen waren. Für mich selbst ist das Malen stets ein privater, beinahe klösterlicher Akt, und wenn ich in der Vergangenheit einem Neugierigen gestattete, mir zuzusehen, erlahmte sein Interesse binnen Minuten, als erschöpfte ihn die Langsamkeit des künstlerischen Fortschreitens. Dies ist natürlich, denn der Geist des Malers tritt in die rechte Hemisphäre, in jenes stille Reich, in dem Bilder sich Schicht um Schicht aufbauen, während der Beobachter im linken Bereich verhaftet bleibt, gefangen in Sprache, Ungeduld, im unablässigen Drängen nach Bewegung und Worten. Nur wenn er diesem Zug des Linken widersteht, wenn er sich hingibt und der rechten Hemisphäre das Sehen überlässt, könnte er das Merkwürdige, die stille Intensität des Entstehens, erkennen – und vielleicht selbst für einen Augenblick jene meditative Versenkung erfahren, in der der Maler lebt.

Olaf, so sah ich, malte nicht nach der Natur, sondern aus dem Gedächtnis. Sein Thema, so sagte er, war „Eine Nacht in Las Vegas“, gewählt für den Anlass des Festes; doch vor ihm gab es kein Modell, kein Foto, keinen äußeren Hinweis, nur die Erinnerung, die er in sich trug, und den Mut, sie in Form zu verwandeln. Er arbeitete über die gesamte Leinwand, setzte Farbflecken scheinbar willkürlich hier und dort, als wüchse das Bild nicht durch linearen Aufbau, sondern durch gleichzeitiges Gären des Ganzen. Dies ist gewiss eine legitime, ja vielleicht die wahrhaftigste Methode, denn sie führt das Werk als Einheit zur Vollendung, nicht in Bruchstücken.

Und doch spürte ich im Schauen den stillen Kampf: nicht in seiner Hand, die sicher und mutig über die Fläche fuhr, nicht in seiner Haltung, die fest und unbeirrt blieb, sondern in der Distanz zwischen dem, was er darstellen wollte, und dem, was er sich ins Gedächtnis zurückrufen konnte. Wie unmöglich, dachte ich, sich die exakten Schattierungen eines Gesichts ins Gedächtnis zu rufen, zumal, wenn künstliches Licht es in Rot- und Grüntöne taucht. Wie kann man sich erinnern an das Spiel von Schatten und Glanz auf einer Haut, da Maler seit Jahrhunderten fast stets das lebendige Modell vor Augen hatten – Rembrandt seine Greise, Caravaggio seine Knaben von der Straße, Degas seine Tänzerinnen beim Üben – oder sich, in neuerer Zeit, der Fotografie bedienten, die den Augenblick für später bewahrte? Ganz aus dem Gedächtnis zu arbeiten heißt nicht nur mit der Form, sondern mit der Fehlbarkeit der Wahrnehmung selbst zu ringen.


Doch meine Worte sind keine Kritik, im Gegenteil: sie sind Bewunderung. Denn er ist mutiger als ich. Ich selbst könnte nicht an einem solchen Abend, vor einer solchen Menge, die nackte Intimität des künstlerischen Ringens offenbaren. Auf der Straße zu malen heißt, die eigene Privatheit aufzugeben, jedem Vorübergehenden einen Blick nicht auf den Sieg, sondern auf das tastende Ringen, auf Irrtum und Zweifel zu gestatten. In diesem Sinne war Olafs Tat fast ein Opfer, ein Offenlegen der inneren Werkstatt vor einem gleichgültigen, ja oft oberflächlichen Blick.

Seine Frau Luise, stets von milder Freundlichkeit, bot mir ihren Campingstuhl an, und so saß ich eine Weile in Schweigen da, betrachtete ihn, während um uns die Stimmen der Menge anschwollen und wieder vergingen, während Gelächter von den Ständen herüberschallte und der Geruch von gebrannten Mandeln sich mit der Kälte des Abends mischte. Doch unter dem roten Baldachin herrschte eine eigentümliche Stille, als erschaffe die Malerei ihren eigenen Raum, der uns vom Fest trennte. Ich blieb nicht bis zur Vollendung, noch kehrte ich zurück, um das Endergebnis zu sehen. Aber ich bin gewiss, dass das, was Olaf an jenem Abend hervorbrachte, mehr ist als ein Gemälde: es ist ein Zeugnis dieser Nacht, von Pirna selbst, vom Zusammentreffen von Erinnerung und Form, vom Mut, vor Fremden das Unmögliche zu versuchen – das Sichtbarwerden dessen, was man nur im Inneren getragen hat.

So schien mir beim Fortgehen, dass nicht die Einkaufstüten, nicht die staatlich gewährte Stunde, das bleibende Erbe solcher Nächte seien, sondern vielmehr das Bild des Künstlers unter einem roten Zelt, der aus dem Gedächtnis malte, die Hand unbeirrt über die Leinwand führend, während die Stadt ringsum im Festtrubel kreiste. Denn in diesem Augenblick erwies sich die Kunst nicht als Verzierung, sondern als Widerstand – als stilles Beharren darauf, dass Erinnerung, Vision und Ringen tiefer zum Leben einer Stadt gehören als alle Einkäufe einer einzigen Nacht.


I had said, almost casually, that I would meet a fellow artist in the street, and so it was: the promise fulfilled itself in Pirna on that evening when the town gave itself to its annual Einkaufsnacht. Yes, I found him there, in the street itself, not wandering nor distracted, but planted with an easel beneath a red canopy, as if the tent had become a shrine to his act of labour. The fading light of day, mingled with the artificial glow of lamps, cast over him a suffusion of red, so that both his figure and the canvas upon which he worked appeared momentarily transfigured, as though the scene belonged not to Saxony but to some dreamscape in which man and painting merge in the same aura.

This festival of night shopping is for the people of Pirna and of Germany something of a rarity, indeed a treat, for it belongs to that small number of sanctioned occasions when shops may break the rigid bounds of prescribed hours. Here, unlike in much of the world, commerce remains chained to law, so that a shopkeeper cannot simply open his door at whim, to profit or to risk loss at his own choosing; no, he must wait for the state to decree the time, as if even the act of selling a loaf of bread were part of a sacred calendar. And so the people seize upon these rare events with a fervour that far exceeds the simple act of buying: they come not to shop but to promenade, to fill the streets, to mingle in the crowd, for Pirna always swells with bodies whenever an event—musical, artistic, or even the flamboyant processions of sexual pride—is offered as a pretext to assemble.

I greeted Olaf, my fellow painter, with a smile, and immediately remarked on his courage in painting thus in the open, exposed to the gaze of strangers, while the street surged already with visitors, none of whom came expressly to look at art. For me the act of painting has always been private, almost monastic, and when in the past I have allowed a curious onlooker to observe me, their interest has withered within minutes, as if the very slowness of the painter’s progress exhausted their capacity for attention. This is natural, for the painter’s mind enters into the right hemisphere, that quiet realm where images are built slowly, layer upon layer, while the observer remains captive to the left, to language, to impatience, to the restless demand for movement and for words. Only if they surrender this pull of the left, if they yield and allow the right hemisphere to take hold of their seeing, could they discover the strangeness and the quiet intensity of what unfolds on a canvas, and perhaps even experience, if only for a moment, the meditative stillness that the painter inhabits.

Olaf, I observed, was painting not from life but from memory. His subject, he told me, was “A Night in Las Vegas,” a theme chosen for the festival’s occasion, but before him there was no model, no photograph, no visual cue, only the recollection stored in his mind and the courage to give it form. He worked across the canvas in its entirety, applying strokes of colour in seemingly random sequence, a wash here, a patch there, as though the painting grew not by linear construction but by simultaneous gestation. This, of course, is a legitimate way, perhaps even the truest, for it brings the work to completion as a whole rather than in fragments.

And yet, as I watched, I felt the silent struggle: not in his arm, which moved boldly, nor in his stance, which was assured, but in the distance between what he wished to render and what he could recall. How impossible, I thought, to remember the exact modulations of colour that compose a face, especially when illuminated by the peculiar red and green hues of artificial light. How can one summon from memory the play of shade and highlight on flesh, when painters through the centuries have almost invariably sought the living model before them—Rembrandt his old men, Caravaggio his boys drawn from the street, Degas his dancers caught mid-practice—or, in our more recent times, have relied upon the camera to preserve a momentary truth for later use? To work entirely from memory is to wrestle not only with form but with the very fallibility of perception.

Yet my words are not a criticism of Olaf, but the opposite: an admiration. For he is bolder than I. I could not stand on such a night, before such a crowd, and expose the naked intimacy of the painter’s struggle. To paint in the street is to surrender one’s privacy, to allow every passerby to glimpse not the finished triumph, but the hesitant birth of a form, the painter’s wrestling with error and with doubt. In this, Olaf’s act was almost sacrificial, a baring of the inner workshop to the indifferent, even the frivolous gaze of the crowd.

His wife, Luise, ever gracious, offered me her camping chair, and I sat a while in silence, watching. Around us, the voices of the crowd surged and retreated, laughter echoing from the stalls, the smell of roasted nuts mingling with the cold of the evening, yet beneath the red tent there reigned a curious stillness, as though the act of painting created its own sphere of quiet, insulating us from the festival. I did not remain until the canvas reached completion, nor did I return to see the final state. But I am certain that what Olaf produced that night, whether as triumph or as compromise, is more than a painting: it is a record of that evening, of Pirna itself, of the meeting of memory and form, of the courage to stand before strangers and to wrestle with the impossible task of making visible that which one has carried only in the mind.

And so it seemed to me, as I left, that what remains of such nights is not the shopping bags, nor the official sanction of extended hours, but rather the image of an artist beneath a red tent, painting from memory, his hand moving steadily across the canvas, while the town whirled around him in its festive distraction. For in that moment, art asserted itself not as ornament but as resistance, as the quiet insistence that memory, vision, and struggle belong more deeply to the life of a town than all the purchases of a single night.

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