The Medicinal Lion of Pirna. Der medizinische Löwe von Pirna
Author- Brian Hawkeswood. Scroll Down for English Version.
Es gibt Dinge, die über uns verweilen, still und unbewegt, knapp außerhalb der Reichweite eines flüchtigen Blickes – über Türstürzen, verborgen in Ruß und Relief, in den Fassaden der Zeit eingefasst. Sie warten, so scheint es, auf die Langsamkeit, auf die Stille, auf jenen Moment, in dem der Blick sich nicht mehr treiben lässt, sondern zu verweilen beginnt. Der medizinische Löwe von Pirna ist eines dieser Dinge. Zwei Jahre ging ich unter ihm hindurch, ohne es zu wissen. Erst als mein Blick sich dem Takt der Altstadt anpasste, hob ich die Augen – und fand ihn dort, leise, wachsam, ein Löwe wie kein anderer.
Er ist kein heraldisches Tier, das auf Schlachtfeldern brüllt, kein stilisierter Monarch aus Bronze. Er ist, vielmehr, etwas viel Intimeres: ein Löwe des Mörsers, des Heilens, der Arbeit. Sitzend auf seinen Hinterläufen, den Rücken an die Mauer gelehnt, über dem Eingang eines stattlichen barocken Gebäudes am Pirnaer Marktplatz, hält er zwischen seinen Pranken einen Stößel, tief eingeführt in ein kegelartiges Gefäß – nicht dekorativ, sondern zweckmäßig. Es liegt Bewegung in der Geste, ein Gewicht, als rühre er noch immer – eine Tinktur vielleicht, ein bitteres Elixier, das Leib und Seele wiederherstellen soll.
Das Gefäß, in das er rührt, ist keine Zierde. Es erinnert in seiner Form an einen alchemistischen Mörser, mit zwei seitlichen Henkeln, wie bei antiken Amphoren. Der Ausdruck des Löwen – vom Kopfsteinpflaster des Platzes aus schwer zu lesen – wirkt weder bedrohlich noch sanft, sondern gesammelt, als sei er Meister seines Tuns. Er weiß um die Bedeutung dessen, was er da rührt. Und er weiß wohl auch, dass seine Anwesenheit über dieser Tür mehr ist als bloß Verzierung.
Und das ist sie. Denn dieser Löwe kennzeichnet die alte Löwen-Apotheke, die einst am Markt 17–18 ansässig war – eine Tradition, die sich über Jahrhunderte durch die deutschsprachige Welt zog. In einer Zeit vor Markennamen und Werbetafeln, als Bilder für Worte sprachen und Zeichen Handel bedeuteten, wurde der Löwe zum Sinnbild des Heilberufs. In barocken Städten wie Pirna – mit ihren gerahmten Fenstern, Erkern und Portalen aus Sandstein – war diese visuelle Sprache unerlässlich. Der Löwe war kein Ornament: Er war Beruf, Versprechen, Zeichen und Schutz zugleich.
Doch diese Skulptur spricht nicht nur von der Apotheke selbst. Sie verweist auch auf die lokale Geschichte, auf die Erinnerung an Menschen und an Bürgersinn. Die Löwen-Apotheke war lange im Besitz der Familie Jacobäer, insbesondere von Theophilus Jacobäer, dem Stadtapotheker, dem man nachsagt, Pirna während des Dreißigjährigen Krieges mit Mut, Verstand und heilkundlichem Wissen geholfen zu haben. Seine Mixturen und seine Umsicht sollen nicht nur gegen Krankheiten, sondern auch gegen Angst gewirkt haben. Im Bild des Löwen begegnet uns nicht nur die Präzision des Heilenden, sondern auch die stille, standhafte Kraft desjenigen, der seine Pflicht erfüllt, ohne Beifall zu erwarten. Dieser Löwe brüllt nicht. Er dient.
Skulptural betrachtet ist der Löwe zurückhaltend, doch selbstbewusst – ein barockes Wesen, nicht überladen, aber ausdrucksstark. Seine Gestalt ist naturalistisch, jedoch von Stilisierung durchzogen; er gehört nicht zur Natur, sondern zur Architektur – ein Wesen des Mörtels ebenso wie des Mörsers. Man spürt, dass er nicht nur als Markierung gedacht war, sondern als Segenszeichen, als Schutzfigur über dem Schwellenraum zwischen Innen und Außen. Er schaut auf den Platz, auf die Stadt, auf jene, die unter ihm hindurchgehen – auch wenn sie ihn nicht bemerken.
Und genau darin liegt sein zutiefst Pirnaischer Charakter. Denn Pirna ist eine Stadt der leisen Gesten und verborgenen Schönheiten – ein Ort, in dem das Barock nicht prahlt, sondern sich entfaltet. Es ist keine Stadt, die beim ersten Blick verführt. Sie offenbart sich dem, der bleibt. Eine Türrahmung mit mythischen Gestalten hier, ein verwittertes Relief dort, knapp über Augenhöhe. Ein Löwe, der etwas Unsichtbares rührt und auf seine Entdeckung wartet. Dies ist nicht das theatrale Dresden, nicht das glanzvolle Prag. Pirnas Schönheit liegt im Übersehenen, im Verborgenen, im Geduldigen.
Über diesen Löwen zu schreiben, heißt auch, das Sehen selbst zu ehren – jene Form von Aufmerksamkeit, die ein Apotheker braucht, ein Bildhauer, ein Dichter. Er erinnert uns daran, dass Heilung ein langsames Handwerk ist, dass Verwandlung im Kleinen beginnt – mit einer Tinktur, einem Blick, einer Geste aus Stein.
Und nun, da du weißt, wo du schauen musst, wird der Löwe vielleicht auch dich bemerken.
Nachtrag: Über den Ursprung und das Entstehungsdatum des Medizinischen Löwen
Es ist nur natürlich, dass man, wenn man unter einer Skulptur steht, die eine Stadt seit Jahrhunderten überblickt, wissen möchte, wann sie ihren Platz zwischen Stein und Geschichte eingenommen hat. Der Medizinische Löwe, der so würdevoll über dem Eingang der alten Löwen-Apotheke in Pirna thront, trägt keine Inschrift, kein eingemeißeltes Datum, kein Signum der Hand, die ihn erschuf. Und doch flüstern die Architektur, die ihn umgibt, und die Geschichte, die ihn umhüllt, Andeutungen über seine Herkunft.
Das Gebäude selbst – Markt 17–18 – gehört zu jener Welle des barocken Wiederaufbaus, die Pirna nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges erfasste, als sich große Teile Sachsens aus Feuer und Ruinen neu erhoben. Fachleute für das baukulturelle Erbe der Stadt und Einträge in der sächsischen Denkmalliste deuten darauf hin, dass dieser Abschnitt des Marktplatzes seine heutige Gestalt um 1700 bis 1720 erhielt – eine Zeit wachsenden Selbstbewusstseins, in der Händler und Handwerker mit Sandsteinfassaden sowohl ihren Wohlstand als auch ihre Frömmigkeit zur Schau stellten.
Der Name „Löwen-Apotheke“ lässt sich noch weiter zurückverfolgen und ist mit der Figur des Theophilus Jacobäer verbunden, eines Stadtapothekers, der für seine heilkundliche Kunst und seine Standhaftigkeit in Zeiten von Pest und Krieg im 17. Jahrhundert verehrt wurde. Auch wenn Jacobäer die Skulptur wohl nicht selbst in Auftrag gab, so dürfte sein Andenken fortgewirkt haben – und es erscheint plausibel, dass seine Nachfahren oder spätere Besitzer, die sein Vermächtnis ehren wollten, beschlossen, ihre Apotheke mit einem würdigen und sprechenden Symbol zu krönen: einem Löwen, der das Gefäß seiner Kunst rührt.
Die Gestaltung des Löwen – naturalistisch und doch stilisiert, die Pranken um einen Stößel geschlungen, der in ein bauchiges Gefäß getaucht ist – spricht die Sprache des barocken Dekors des frühen 18. Jahrhunderts, einer Epoche, in der die dramatische Geste der Kunst mit der praktischen Welt des Handwerks und der Zünfte verbunden wurde. In jener Zeit wurde es zur Gewohnheit, Apotheken mit symbolischen Zeichen zu schmücken, die ihre Bestimmung auch für Analphabeten erkennbar machten. Und der mörserführende Löwe wurde zu einem besonders kraftvollen Sinnbild für medizinische Autorität und heilkundliche Wandlungskraft.
All diese Spuren – der barocke Fassadenschmuck, der historische Kontext Pirnas, die ikonographischen Konventionen barocker Apotheken – deuten auf ein wahrscheinliches Entstehungsdatum zwischen 1700 und 1730 hin, also auf jene Zeit, in der Pirna wieder zu seiner Stimme fand und seine Bürger durch steinerne Zeichen ein bleibendes Selbstverständnis formten.
Auch wenn kein Archivalienfund das genaue Jahr belegen mag, in dem der Medizinische Löwe seinen Platz über dem Marktplatz einnahm, so erzählen doch jede seiner Linien, jede Spur des Bildhauerschlags, von einem Moment, in dem sich Pirnas bürgerlicher Stolz und barocke Einbildungskraft verbanden – und ein steinernes Wesen schufen, das noch heute Geschichten rührt für jene, die stehen bleiben und schauen.
There are things that dwell above us in silence, just out of the eye’s lazy reach — perched high on lintels or buried in façades of soot and shadow — waiting, it seems, for time and stillness and the slow turning of one’s attention. The Medicinal Lion of Pirna is such a thing. For two years I passed beneath him, unaware. Only once my gaze slowed to the pace of the old town itself did I finally lift my eyes and find him there — quiet, watchful, a lion unlike any other.
He is no heraldic beast roaring on a battlefield nor some stylised monarch cast in bronze. He is, instead, something far more intimate: a lion of mortar and pestle, a lion of work and healing. Seated upon his haunches just above the doorway of a stately Baroque building in Pirna’s market square, his back pressed gently to the wall as if taking a moment’s rest, he clasps between his paws a pestle, plunged firmly into a conical urn or crucible — not decorative, but purposeful. There is a gesture of motion in the sculpted arms, a weight, as though he is still stirring something—some tincture or bitter brew meant to restore the body, perhaps the spirit too.
The vessel he works is not ornamental. It bears the form of an alchemical mortar, its two side-handles echoing ancient amphorae. The lion’s expression — difficult to read from the cobbled square below — seems neither fierce nor gentle, but composed, as though he is a master of his task, aware of the importance of the substance he stirs, aware that above this door, his presence means something.
And indeed it does. For this lion marks the old Löwen-Apotheke, the Lion Pharmacy — a tradition that stretched across German-speaking towns and cities from the Renaissance well into the modern era. In an age before branding, before literacy was assured, when signs spoke in shape rather than syllable, the lion was often called upon to announce not an inn or a coat of arms, but a place of healing. In Baroque Pirna, with its corniced windows and sandstone portals, such visual language was essential. This lion was no decoration: he was identity, trade, symbol, and assurance.
But this particular sculpture speaks not only to the pharmacy’s function. It also gestures toward a local history bound in story and civic memory. The Löwen-Apotheke at Markt 17–18 was long associated with the Jacobäer family, most notably Theophilus Jacobäer, the city apothecary credited with helping to preserve Pirna during the devastations of the Thirty Years’ War. His concoctions and his counsel, it is said, helped stem plague and fear alike. In the figure of the lion, one imagines not only the healer’s precision but the quiet, tenacious strength of those who do their duty without applause. This lion does not roar. He serves.
From a sculptural standpoint, the work is modest but confident — a baroque confection not overloaded with ornament, yet expressive in posture and symbolic depth. The lion’s form is naturalistic but softened by stylisation; he belongs not to nature, but to architecture — a creature of mortar as well as mortar-and-pestle. One suspects he was installed not only to mark the shop, but to bless it. He watches over the square, over the threshold, over those who pass beneath, even if they do not see him.
And this is what makes him so deeply Pirnaisch. For Pirna is a town of quiet gestures and concealed beauty — a place where the baroque is not brash, but slowly revealed. It does not dazzle on first glance; it unfolds. A doorframe here with mythic figures. A weathered relief there, just above eye level. A lion, brewing something invisible, waiting to be noticed. This is not Dresden’s theatrical grandeur, nor Prague’s flamboyant sweep. Pirna’s beauty resides in the overlooked, the hidden, the things you only find when you live with them long enough to see.
To write about this lion is, in a sense, to honour the practice of close observation — the same patience and attentiveness required of a true apothecary, or a sculptor, or a poet. He reminds us that healing is a slow craft, that transformation begins in small things — a tincture, a gaze, a sculpted gesture above a door.
And now that you know where to look, you may find that the lion watches you too.
Postscript: On the Origins and Date of the Medicinal Lion
It is natural, when one stands beneath a sculpture that has watched over a town for centuries, to wonder when it first took its place among stone and story. The Medicinal Lion, so poised above the door of the old Löwen-Apotheke in Pirna, carries no plaque, no date carved into its base, no signature from the hand that shaped it. And yet the architecture around him, and the history he inhabits, whisper hints of his birth.
The building itself — Markt 17–18 — belongs to a wave of Baroque reconstruction that swept through Pirna in the aftermath of the Thirty Years’ War, when much of Saxony rebuilt itself from fire and ruin. Scholars of the town’s heritage, and records from the official Saxon cultural monuments registry, agree that this stretch of the market square found its definitive form around 1700–1720, an era of rising confidence when Pirna’s merchants and craftsmen sought to display both prosperity and piety in sandstone façades.
The Löwen-Apotheke’s proud name dates back even earlier, connected to the figure of Theophilus Jacobäer, the city apothecary renowned for his healing skill and steadfastness during times of plague and war in the mid-1600s. Though Jacobäer himself may not have commissioned the sculpture, his legacy surely lingered — and it is plausible that his descendants, or later owners honoring his reputation, chose to crown their pharmacy with a symbol both fitting and grand: a lion, stirring the vessel of his craft.
The lion’s style — naturalistic yet stylised, his paws clasped purposefully around a pestle plunged into an urn — speaks the language of early 18th-century Baroque ornamentation, when the theatrical flourishes of art were wedded to the practical needs of the guilds. During this time, it became customary for pharmacies to mark their thresholds with distinctive emblems that announced their trade to a populace still learning to read, and the lion stirring the mortar emerged as a particularly potent symbol of medicinal authority and transformative skill.
All these threads — the building’s Baroque stonework, the town’s historical arc, the visual conventions of early 1700s pharmacies — weave together to suggest a likely date of creation between 1700 and 1730, a time when Pirna was once more finding its voice, and merchants and artisans were asserting their presence through symbols that have outlasted the centuries.
So while no archival document may name the exact year the Medicinal Lion took his place above the market square, his every curve and gesture, every trace of the sculptor’s hand, tells of a moment in time when Pirna’s civic pride and baroque imagination came together — leaving behind a sentinel of stone to stir stories for generations yet to come.
Comments
Post a Comment