The Quiet Persistence of Folk Art

 Author- Brian Hawkeswood                                                 Scroll Down For English Version 

Die stille Beständigkeit der Volkskunst

Vorspiel: Der eigene Faden der deutschen Volkskunst

Bevor ich den Blick hinauswende zu den retablos Mexikos, den Quilts Amerikas und den bemalten Wänden Bihars, muss ich eingestehen, dass auch Deutschland selbst eine Volkskunsttradition von großer Tiefe besitzt, die wir, die wir mitten unter ihren Überresten leben, nur allzu oft vergessen zu benennen. Die bemalten Bauernschränke Bayerns, mit Blumen und Heiligen verziert, standen einst in jedem Hof als Aufbewahrung und stiller Segen zugleich. In Thüringen formten die Glasbläser von Lauscha zerbrechliche Kugeln, die das Licht der Weihnacht in dunkle Winter trugen – eine Praxis so innig, dass sie später um die ganze Welt wanderte als „Weihnachtskugel“. Und hier in Sachsen, im Erzgebirge, wandten Generationen von Bergleuten ihre Hände vom Erz dem Holz zu und schnitzten Nussknacker, Pyramiden und Schwibbögen, die noch heute in unseren Fenstern leuchten und an Not wie Widerstandskraft erinnern.

Diese Dinge, wie die Flickendecken eines anderen Kontinents oder die Votivbilder eines anderen Glaubens, waren nicht dafür geschaffen, in Museen zu stehen, sondern im Kreis von Haus und Brauch zu verweilen. Sie sprechen nicht von Innovation, sondern von Zugehörigkeit, nicht vom isolierten Genie, sondern von der gemeinsamen Hand. Wenn wir sie heute übersehen, so vielleicht deshalb, weil sie so tief in das Gewebe des deutschen Lebens eingewoben sind, dass wir sie längst nicht mehr als Kunst wahrnehmen, sondern als Hintergrund, als Tradition. Und doch erkennen wir, wenn wir innehalten, in ihnen denselben stillen Anspruch, der die Volkskunst stets bestimmt hat: dass Schönheit kein Luxus der Eliten ist, sondern Geburtsrecht jedes Hauses, jedes Dorfes, jedes Volkes.

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Eine gewisse Demut wohnt den Objekten inne, die wir Volkskunst nennen, eine Demut, die ihre verborgene Größe verschleiert. Anders als die selbstbewussten Leinwände, die in vergoldeten Rahmen hängen und unablässig darauf bestehen, als Zeugnisse von Bewegungen erkannt zu werden—Barock, Romantik, Impressionismus, Moderne—bedarf die Volkskunst keiner solchen Erklärungen. Sie lebt näher am Boden, in den Fasern eines Stoffes, den eine Mutter mit der Hand zugeschnitten hat, in dem Votivbild aus Blech, das am Fuß einer Heiligenfigur niedergelegt wird, in den leuchtenden Pigmenten, die auf den Lehmwänden eines Dorfhauses erstrahlen. Volkskunst verlangt nicht nach der Anerkennung der Geschichte; sie bittet nur darum, gelebt zu werden, zu dienen, eine Geschichte zu bewahren, die älter ist als das Individuum.

Ich denke an die mexikanischen retablos und ex-votos, jene bescheidenen Bilder auf Blech oder Holz, die zugleich eine zutiefst persönliche und universell menschliche Sprache sprechen. Hier der Bauer, der der Jungfrau dankt, weil sie ihn vor den Hörnern des Stieres bewahrt hat; dort die Mutter, die die wunderbare Genesung ihres Kindes festhält. Jedes Bild ist zugleich Kunstwerk und Zeugnis, ein Fragment der Autobiographie, gemalt nicht, um zu beeindrucken, sondern um den Dank in eine greifbare Form zu gießen. Und doch liegt in ihrer naiven Perspektive, in ihren klaren Farben eine Offenheit, die so manchem ausgebildeten Künstler versagt blieb.

Oder die Flickendecken Amerikas, im 19. Jahrhundert aus getragenen Kleidungsstücken genäht, die von müden Händen zusammengesetzt wurden, um Wärme für Familien zu schaffen, die unter ihren Mustern träumten. Zunächst erscheinen sie rein praktisch, doch wer bei ihnen verweilt, entdeckt eine Sprache der Farbe und Form, so kunstvoll wie jedes Ölgemälde. Jedes Quadrat ist eine Meditation über das Überleben und über die Schönheit, eine Behauptung, dass selbst in der Not Harmonie aus Fragmenten entstehen kann. Ganze Gemeinschaften sind in diese Quilts eingenäht, Frauen, die sich versammeln, nicht nur Stoffe austauschen, sondern auch Geschichten, Lieder, die leise Kameradschaft gemeinsamer Hände.

Und in einer anderen Ecke der Welt, in den Dörfern von Bihar in Indien, erblüht die leuchtende Welt der Madhubani-Malerei: Figuren von Göttern und Tieren, mit schwarzer Linie umrissen, ausgefüllt mit kräftigem Rot, Gelb und Grün, gewonnen aus Pflanzen und Erde. Einst auf Lehmwände und Böden gezeichnet, um Götter zu ehren und den Rhythmus der Jahreszeiten zu markieren, haben diese Malereien längst den Weg in Galerien und Bücher gefunden und tragen noch immer den Duft einer Welt, in der Kunst nie vom Leben getrennt war. Was mich an ihnen am meisten berührt, ist nicht die Originalität im westlichen Sinn, sondern die Kontinuität: das Gefühl, dass jede Künstlerin, jeder Künstler nur Gefäß ist, durch das die Tradition spricht, ein Pinsel geführt von Generationen des Gedächtnisses.

Stellt man diese Objekte den Strömungen der sogenannten Hochkunst gegenüber, erkennt man sofort die merkwürdige Blindheit der Kunstgeschichte. Über Jahrhunderte hatten die Hüter der Kultur—Museen, Akademien, Kritiker—kaum Worte für die Volkskunst, verwarfen sie als primitiv oder naiv, liebenswert vielleicht, aber nicht ernstzunehmen. Die Renaissance erhob die Perspektive, die Romantik das Gefühl, die Moderne den Bruch—doch unter all diesen großen Monumenten der Innovation pulsierte weiter der stille Takt anonymer Hände, die Schönheit schufen, die dem Leben diente. Erst im 20. Jahrhundert, als Maler wie Picasso auf afrikanische Masken oder bretonische Stickereien zurückgriffen, entdeckte das sogenannte Zentrum wieder, was die Ränder stets gewusst hatten: dass Kunst nicht nur Erfindung ist, sondern auch das geduldige Wiederholen von Formen, die die Seele eines Volkes tragen.

Wie aber das Werk einer Volkskünstlerin gegen das einer anderen beurteilen? Schon die Frage scheint fast fehl am Platz, denn Volkskunst bewohnt nicht dieselbe Hierarchie wie die akademische Kunst. Wo die Akademie Originalität misst, misst die Tradition Treue und Resonanz. Eine Decke wird nicht deshalb bewundert, weil sie einen neuen Stil verkündet, sondern weil sie Wärme, Gleichgewicht und den Nachhall der Gemeinschaft in sich trägt, aus der sie stammt. Ein retablo ist nicht besser oder schlechter als ein anderes durch die Virtuosität der Linie, sondern durch die Aufrichtigkeit seiner Hingabe. Sie gegeneinander abzuwägen hieße, ihnen ein Bewertungssystem aufzuzwingen, das nicht das ihre ist. Und doch schafft die moderne Welt, mit ihrer Gier nach Namen und Auktionen, auch hier Hierarchien. Eine Grandma Moses wird über Tausende unbekannter Hände erhoben, die mit gleicher Ehrlichkeit gemalt haben; ihr Werk wird gerahmt und verkauft, während das ihre auf Dachböden oder lokalen Märkten verharrt.

In Wahrheit liegt die Schönheit der Volkskunst nicht in der Rivalität, sondern in der Gleichheit. Jedes Stück ist ein Flüstern im Chor einer Kultur, trägt Muster weiter, älter als das Gedächtnis. Sie zu vergleichen heißt, die größere Musik zu verfehlen. Volkskunst erinnert uns daran, dass Kunst nicht in der Akademie beginnt und nicht im Museum endet, sondern in das Gewebe des Lebens selbst eingewoben ist—in Dankbarkeit, in Notwendigkeit, in dem Wunsch, die Welt, und sei es auf bescheidene Weise, schöner zu machen.

Prelude: Germany’s Own Thread of Folk Art

Before turning outward to the retablos of Mexico, the quilts of America, and the painted walls of Bihar, I must acknowledge that Germany itself possesses a folk art tradition of profound depth, though we who live among its remnants often forget to name it as such. The painted wardrobes of Bavaria, adorned with flowers and saints, stood once in every farmhouse as both storage and silent blessing. In Thuringia, the glassblowers of Lauscha shaped fragile spheres that carried the light of Christmas into darkened winters, a practice so intimate that it later traveled the world as the “Christmas ornament.” And here in Saxony, in the Erzgebirge, generations of miners turned their hands from ore to wood, carving nutcrackers, pyramids, and candle arches that still flicker in our windows each December, reminders of both hardship and resilience.

These objects, like the patchwork quilts of another continent or the votive paintings of another faith, were not conceived to enter museums but to remain within the circle of home and ritual. They speak not of innovation but of belonging, not of the isolated genius but of the shared hand. If we overlook them today, it is perhaps because they are so deeply woven into the texture of German life that we no longer see them as art at all, but as background, as tradition. And yet, if we pause, we recognise in them the same quiet insistence that has always defined folk art: that beauty is not a luxury of the elite, but a birthright of every household, every village, every people.

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There is a certain humility in the objects we call folk art, a humility that conceals their secret grandeur. Unlike the self-conscious canvases that hang in gilded halls, forever demanding to be recognised as the markers of movements—Baroque, Romantic, Impressionist, Modernist—folk art has no need of such declarations. It lives closer to the ground, in the fibres of cloth cut by a mother’s hand, in the devotional tin painting placed at the foot of a saint, in the bright pigments brushed on the mud walls of a village house. Folk art does not demand history’s recognition; it asks only to be lived with, to serve, to keep alive a story older than the individual.

I think of the Mexican retablos and ex-votos, those modest paintings on tin or wood that speak in a language at once intensely personal and universally human. Here is the farmer who thanks the Virgin for sparing him from the bull’s horns, here is the mother who records her child’s miraculous recovery. Each image is both art and testimony, a fragment of autobiography painted not to impress but to preserve gratitude in a tangible form. And yet in their naive perspective, their direct colours, there is a candour that many a trained artist could never achieve.

Or again, the patchwork quilts of America, sewn in the 19th century from scraps of worn clothing, worn hands stitching warmth for families who would dream beneath their patterns. At first glance they are merely practical, but to linger with them is to see a language of colour and form as intricate as any oil painting. Each square is a meditation on survival and on beauty, an insistence that even in hardship, harmony can be assembled from fragments. Whole communities are stitched into these quilts, women gathering together, exchanging not only fabric but stories, songs, and the soft companionship of hands working side by side.

And in another corner of the world, the villages of Bihar in India yield the vivid flowering of Madhubani painting, figures of gods and animals outlined in black, filled with bright reds, yellows, and greens made from plants and earth. Once traced on mud walls and floors to honour deities and mark the rhythm of the seasons, these paintings have crossed into galleries and books, carrying with them the fragrance of a land where art was never separated from daily life. What strikes me most in these works is not originality as the West has come to define it, but continuity: the sense that each artist is but a vessel through which the tradition speaks, a brush guided by generations of memory.

When one sets these objects against the mainstream of historical art movements, one perceives at once the curious blindness of art history. For centuries, the custodians of culture—museums, academies, critics—had little to say of folk art, dismissing it as primitive or naive, charming perhaps, but not serious. The Renaissance exalted perspective, the Romantics exalted emotion, the Modernists exalted rupture, but all the while, beneath these towering monuments of innovation, there continued the quiet pulse of anonymous hands making beauty that served life. It was only in the 20th century, when painters like Picasso looked to African masks or Breton embroidery, that the so-called centre rediscovered what the margins had always known: that art is not invention alone, but also the patient repetition of forms that carry the soul of a people.

How then is the work of one folk artist to be judged against another? Here the question seems almost misplaced, for folk art does not inhabit the same hierarchy as academic art. Where the academy weighs originality, the folk tradition measures fidelity and resonance. A quilt is admired not because it announces a new style, but because it holds warmth, balance, and the echo of the community from which it comes. A retablo is not better or worse than another because of virtuosity of line, but because of the sincerity of its devotion. To set one against another is to impose on them a system of ranking that belongs elsewhere. And yet the modern world, with its appetite for singular names and auction prices, does impose such hierarchies. A Grandma Moses is elevated above the thousands of unknown hands who painted with equal honesty, her work framed and sold while theirs remain in attics or local markets.

In truth, the beauty of folk art is not in its rivalry but in its equality. Each piece is a whisper in the chorus of a culture, carrying forward patterns older than memory. To compare them is to miss the larger music. They remind us that art does not begin in the academy and does not end in the museum, but is woven into the fabric of life itself—in gratitude, in necessity, in the desire to make the world, however modestly, more beautiful.



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