The Burnt-Out Screen: Signs of the Times.

 Author-  Brian Hawkeswood.                                                                                     Scroll Down  for English Version.

Der ausgebrannte Bildschirm: Zeichen der Zeit

Es gibt Momente, in denen sich die Welt nicht durch große Ereignisse, sondern durch kleine, beinahe unsichtbare Gesten offenbart – durch die Art, wie Menschen sitzen, wohin sie schauen, was sie mit der Stille tun. Diese Gesten, leicht übersehen, sind die wahren Zeichen der Zeit: die leise Handschrift eines Zeitalters auf der Oberfläche des Alltags.

Vor Kurzem bemerkte ich es, als ich von Georgien zurückkehrte und von Kutaisi nach Dresden reiste. Die Busfahrt von Berlin nach Dresden, kaum zwei Stunden, hätte unauffällig sein sollen. Ich nahm einen Platz im hinteren Bereich des Busses, neben einer jungen Frau, deren Schönheit mich sofort traf – nicht laut oder theatralisch, sondern mit jener ausgewogenen Grazie, die einst die Antike in der Skulptur suchte: Harmonie der Linien, Ruhe der Präsenz. Ich grüßte sie – eine kleine Höflichkeit, die einfachste Brücke zwischen Fremden, die einen engen Raum teilen würden. Sie antwortete nicht. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos, ihre Augen wandten sich bereits dem kleinen, leuchtenden Rechteck zu, das sie aus ihrer Tasche zog.

Für die nächsten anderthalb Stunden starrte sie auf ihr Telefon – zuerst auf eine Anzeige für eine freie Wohnung, dann auf eine Reihe trivialer Bilder, deren Sinn sich mir nicht erschloss, weil es keinen gab. Um uns herum wiederholte sich dasselbe Ritual. Neun, vielleicht zehn weitere Fahrgäste, alle vertieft in den gleichen bläulichen Trancezustand. Auf ihren Bildschirmen tanzten kleine Hunde auf Hinterbeinen, Menschen führten mechanische Bewegungen aus, Spiele ohne Bedeutung. Es war eine Art kollektive Hypnose, eine Gemeinschaft ohne Bewusstsein.

Irgendwann sank ich in einen leichten Schlaf, und als ich die Augen wieder öffnete, herrschte eine seltsame Stille. Die Telefone lagen dunkel in den Händen ihrer Besitzer. Sie saßen reglos da, starrten ins Leere. Es war, als sei die Schaltung überhitzt, die menschlichen Batterien erschöpft. Sie konnten nicht weiter scrollen; selbst der Müll hatte sie erschöpft.

Niemand las ein Buch. Niemand schrieb. Niemand studierte, zeichnete oder reflektierte. Der Bus wurde zum Symbol einer Zivilisation, die nicht mehr nach außen oder innen blickt, sondern nur noch nach unten – in den kleinen, leuchtenden Abgrund ihrer eigenen Zerstreuung. Ich erkannte mit stiller Scham, dass ich der Fremde war, der an seinem Lebenslauf arbeitete – jene unmodische Übung der Introspektion. In dieser kleinen Tat – Feder auf Papier, Geist, der Erinnerung nachspürt – spürte ich den letzten Faden, der mich noch mit dem verband, was einst Kultur genannt wurde.

Wir leben, dachte ich, in einem Zeitalter, das den Intellekt misstraut, nicht aus Angst vor Irrtum, sondern aus Angst vor Tiefe. Alles zu verstehen – Schönheit, Kunst, Geschichte, ja selbst die Liebe – erfordert eine Auseinandersetzung des Geistes, eine Aufmerksamkeit, die lange genug anhält, um aus Chaos Form hervorzubringen. Doch der Intellekt erscheint vielen als bedrückend, weil sie Denken mit Langeweile verwechseln. Und also scrollen sie.

Das Ergebnis ist, dass Schönheit selbst unsichtbar wird. Denn Schönheit verlangt Betrachtung – einen Blick, der verweilt, der das langsame Entfalten von Bedeutung erträgt. Ohne Intellekt wird Schönheit unsichtbar; ohne Erinnerung wird Kunst bloße Dekoration; ohne Reflexion wird die menschliche Existenz zu einer endlosen Abfolge zusammenhangloser Gesten.

Die Fahrgäste im Bus waren weder böse noch dumm. Sie waren einfach modern. Sie hatten die Gewohnheit der Zerstreuung geerbt, wie andere einst den Glauben geerbt hatten. Ihre Regungslosigkeit, als die Bildschirme erloschen, erschien mir nicht als Ruhe, sondern als Niederlage – der Moment, in dem der Wille, nach innen zu schauen, endgültig aufgegeben wurde.

Und doch, irgendwo unter dieser Erschöpfung, möchte ich glauben, dass der menschliche Geist noch nach Stille, Langsamkeit, nach Sinn strebt. Vielleicht ist es deshalb, dass ich weiter schreibe – als Akt des Widerstands gegen den narkotisierenden Rhythmus des Zeitalters. Zu schreiben, ein Gemälde aufmerksam zu betrachten oder in einer Galerie in Pirna zu sitzen, während das Nachmittagslicht den Stuck vergoldet – dies sind Gesten des Erinnerns. Sie erinnern uns daran, dass Schönheit, wie auch das Denken, unsere volle Gegenwart verlangt, und dass diese Gegenwart selbst nun zur seltensten aller Künste geworden ist.

Ich musste noch einen Zug erwischen – einen Regionalzug zurück in mein Zuhause in Pirna. Und da stand sie, als wäre sie aus der fernen Erinnerung an den Bus heraufbeschworen, zu meiner Rechten: dieselbe junge Frau, deren Schönheit still und unergründlich neben mir die Stunden der vorigen Fahrt begleitet hatte. Ich ließ meinen Blick auf ihr ruhen, nicht als Eindringen, sondern als leiser Akt der Aufmerksamkeit, und in diesem absichtsvollen Schauen wartete ich, spürte den langsamen, kaum wahrnehmbaren Pulsschlag, durch den sie mich schließlich bemerkte. Endlich trafen sich unsere Augen. Kein Telefon lenkte sie ab, kein Bild riss sie fort. Und doch sprachen wir kein Wort – kein Lächeln, kein Heben der Hand, keine Geste, die die gewöhnliche Distanz zwischen Fremden überbrücken könnte.

Und in dieser Stille wurde mir die seltsame Intimität des Beobachtens und des Gesehenwerdens bewusst: ein Moment, der nicht festgehalten, nicht geteilt, vielleicht schon verflogen war, bevor er erinnert werden konnte. Was dachte sie wohl über mich? Vielleicht gar nichts, oder vielleicht ein flüchtiger Verdacht, ein unbewusstes Interesse, gefiltert durch die gewohnheitsmäßige Linse einer Welt, die den Blick flüchtig, das Scrollen endlos und das Wegschauen trainiert hat. Ich stellte mir, mit jener stillen Melancholie, die nur die Einsamkeit erlaubt, vor, dass sie mich nicht wirklich sah – einen Mann, der ihre Gegenwart verfolgt wie eine Lichtspur an der Wand, ihre langsame Bewegung genießt, den Verlauf der Zeit in der Stille markiert.

Und doch schien diese kurze Begegnung schwerer zu wiegen als jedes digitale Bild, reicher als der endlose Strom von Belanglosigkeiten, der zum Maß unserer Aufmerksamkeit geworden ist. In ihrem Blick, der meinen erwiderte, spürte ich das Echo dessen, was unserem Zeitalter fast verloren gegangen ist: die menschliche Fähigkeit, einem anderen vollständig zu begegnen, wenn auch nur für einen Herzschlag, ohne Worte, ohne Vermittlung, aufgehängt in der zerbrechlichen Schwerkraft der Gegenwart.

The Burnt-Out Screen: Signs of the Times

There are moments when the world reveals itself not through grand events, but through small, almost invisible gestures — the way people sit, where they look, what they do with silence. These gestures, easily overlooked, are the true signs of the times: the quiet handwriting of an age on the surface of daily life.

I noticed it recently while travelling from Georgia back to Germany, from Kutaisi to Dresden. The bus journey from Berlin to Dresden,  barely two hours, should have been unremarkable. I sat near the back of the bus, beside a young woman whose beauty struck me immediately — not loud or theatrical, but with that calm, balanced grace the ancients sought in sculpture: harmony of line, serenity of presence. I greeted her — a small courtesy, the simplest bridge between strangers who would share a confined space. She did not answer. Her face remained impassive, her eyes already turning to the small, luminous rectangle she withdrew from her bag.

For the next hour and a half, she gazed at her phone — first an advertisement for a vacant apartment, then a string of trivial images whose meaning I could not discern, because there was none to discern. Around us, the same ritual repeated. Nine, perhaps ten other passengers, all absorbed in the same blue-lit trance. On their screens danced small dogs walking upright, people performing mechanical gestures, games without purpose. It was a kind of collective hypnosis, a communion without consciousness.

At some point I drifted into sleep, and when I opened my eyes again, a strange stillness had fallen. The phones lay dark in their owners’ hands. They sat motionless, staring into nothing. It was as if the circuitry had overheated, the human batteries drained. They could scroll no further; even the trash had exhausted them.

No one read a book. No one wrote. No one studied, sketched, or reflected. The bus became the emblem of a civilization that no longer looks outward or inward, but only downward — into the small, glowing abyss of its own distraction. I recognized, with quiet shame, that I was the odd one out, working on my autobiography — that unfashionable practice of introspection. In that small act — pen on paper, mind tracing memory — I felt the last thread that still connected me to what was once called culture.

We live, I thought, in an age that mistrusts intellect, not because it fears error, but because it fears depth. To understand anything — beauty, art, history, even love — requires an engagement of the mind, sustained attention long enough to see form emerge from chaos. But intellect has come to seem oppressive to those who mistake thought for boredom. And so they scroll.

The result is that beauty itself becomes unintelligible. For beauty demands contemplation — a gaze that lingers, that suffers the slow unfolding of meaning. Without intellect, beauty becomes invisible; without memory, art becomes mere decoration; without reflection, the human condition becomes an endless series of disconnected gestures.

The passengers on that bus were neither wicked nor stupid. They were simply modern. They had inherited the habit of distraction as others once inherited faith. Their stillness, when their screens went dark, seemed to me not rest but defeat — the moment when the will to look inward has finally been surrendered.

And yet, somewhere beneath that exhaustion, I want to believe that the human spirit still longs for silence, for slowness, for meaning. Perhaps that is why I continue to write — as an act of resistance against the narcotic rhythm of the age. To write, or to look carefully at a painting, or to sit in a gallery in Pirna while the afternoon light turns the plaster gold — these are gestures of remembrance. They remind us that beauty, like thought, requires us to be fully present, and that presence itself is now the rarest of arts.

I needed to catch one more train — a local train back to my home in Pirna. And there she was, suddenly, standing to my right, as if conjured by the faint memory of the bus: the same young woman whose beauty had lingered, silent and unreadable, beside me for the hours of that previous journey. I let my gaze settle upon her, not as an intrusion, but as a quiet act of attention, and in that deliberate looking I waited, sensing the slow, almost imperceptible pulse by which she became aware of me. She met my eyes at last. No phone distracted her, no image pulled her away. Yet we spoke nothing — no smile, no lifting of a hand, no gesture to bridge the ordinary distance between strangers.

And in that stillness, I became aware of the strange intimacy of witnessing, and of being witnessed: a moment not recorded, unshared, perhaps already fading before it could be remembered. What did she think of me? Perhaps nothing at all, or perhaps some fleeting suspicion, some unconscious curiosity filtered through the habitual lens of a world trained to glance, scroll, and look away. I imagined, though, with that quiet melancholy only solitude allows, that she could not have seen me as I truly was — a man tracing her presence like one traces a line of light across a wall, savoring its slow movement, marking the passage of time in silence.

And yet, that brief encounter seemed heavier than any digital image, richer than the endless flow of trivialities that have become the measure of our attention. In her gaze returned to mine, I felt the echo of what is almost lost to our age: the human capacity to meet another fully, if only for a heartbeat, without words, without mediation, suspended in the fragile gravity of presence.



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